Geschichte von Wirtschaft und Infrastruktur
Bedingt durch das rauhe Klima des Vogelsberges waren die Ernten nicht immer zufriedenstellend und ausreichend. Im 19. Jahrhundert verschlechterte sich die Lage der Bevölkerung zusehends. Die herrschende Dreifelderwirtschaft ließ eine intensive Bodenbewirtschaftung nicht zu, künstlichen Dünger gab es nicht und die landwirtschaftlichen Geräte waren noch primitiv. Kriegsschulden, Zehnten und viele andere Abgaben lasteten schwer und hemmten die Fortentwicklung. Erbteilungen machten viele Betriebe lebensunfähig. Als noch jahrelange ungünstige Witterung und Viehseuchen dazukamen, suchten viele Bauern des Vogelsberges ihr Glück in der »Neuen Welt« (überwiegend in Nordamerika, aber auch vereinzelt in Russland oder Brasilien). Sogar ganze Dörfer wanderten aus, so war es 1842 das Nachbardorf Wernings, wo die Bewohner Haus und Hof und sämtliches Gemeindeeigentum an den Grafen Solms Laubach verkauften und nach Illinois und Pennsylvania in den USA gingen. Die heutige Verschwisterung von Gedern mit Columbia/Illinois geht auf die Auswanderung der Werningser Bevölkerung zurück, denn es hat heute in Amerika schon eine gewisse Tradition sich an die Wurzeln seiner Herkunft zu erinnern („Back to the Roots“). Das Dorf Pferdsbach bei Büdingen folgte 1847 dem Beispiel von Wernings und auch in Wenings liefen Vorbereitungen für eine Auswanderung an. 60 Einwohner verpflichteten einen Makler, ihr Hab' und Gut zu verkaufen; einen Gemeindewald, den „Gerhardsschlag“, hatte man bereits an die Firma Buderus, Hirzenhain, verkauft. Die Hessische Regierung genehmigte allerdings die Auswanderung aus Sorge um den Bestand der Bevölkerung und der Landwirtschaft nicht. Trotzdem wanderten immer wieder einzelne Familien aus.
1883 wurde in Wenings eine „Post-Agentur“ eröffnet. Vermutlich war dies im Hause Sillmann, denn dort wurde später um 1920 eine richtige Poststelle eingerichtet. Nach mehreren Umzügen wurden am 27. Juni 1988 neue Räume in der Burgstraße 6 (ehem. Geschäft Grandhomme/Nickel) durch den damaligen Postminister Dr. Schwarz-Schilling eingeweiht. Der allgemeine Nachfragerückgang bei der Post führte 1995 zur bundesweiten Einführung von selbständigen „Post-Agenturen“ (erneut unter dem Begriff „Agentur“ wie im 19. Jahrhundert). Am 30. Januar 1995 wurde in Wenings eine Post-Agentur mit allen Dienstleistungen der Post (Postbank, Telekom und Deutsche Post AG), die bisher von der Poststelle wahrgenommen wurden, im Lebensmittelgeschäft Hans Erich Kehm eröffnet. Im Zuge der weiteren Schließung von Postdiensten auf dem Lande wurde am 20. Februar 2004 das Angebot auf die „gelbe“ Post (keine Postbank, keine Telekom) beschränkt und am 30. September 2004 zog sich die Post ganz aus Wenings zurück. Dies bedeutet, dass die Kunden nun ihre Postangelegenheiten mit dem Briefträger oder in anderen Städten erledigen müssen.
Brunnen im Oberwald
Die Versorgung der Weningser Haushalte mit Wasser erfolgte aus mehreren Brunnen, von denen einige heute noch erhalten sind. Um die Situation zu verbessern, wurden im Jahre 1913 drei Quellen im Oberwald bei Hartmannshain gefasst und von dort eine Rohrleitung bis zum Hochbehälter (»Wasserbassin«) an der Straße nach Gedern gelegt. Zu diesem Leitungsbau, an dem auch viele Weningser Männer mitarbeiteten, musste man morgens gegen vier Uhr in Wenings aufbrechen, um nach etwa zwei Stunden Fußmarsch an die Baustelle zu gelangen. Für einen Tag schwerer Arbeit »mit Hacke und Schippe« am Rohrleitungsgraben, der meistens durch steinigen Vogelsberger Basaltboden führte, erhielten die Arbeiter 5, bis 6, DM Lohn, für den auch noch der zweistündige Heimweg nach der Arbeit in Kauf genommen wurde.
Als in den 50er und 60er Jahren das Wasser aus dem Oberwald weniger wurde, mussten zwei neue Bohrungen im Werningser Grund und im Gerhardsschlag sowie die Ergänzung des bestehenden Hochbehälters mit einem neuen an der Schönau die heutige Wasserversorgung sichern. Eine weitere Selbstverständlichkeit für die Menschen von heute, der elektrische Strom, wurde 1920 nach Wenings verlegt und das Ortsnetz eingerichtet.
Hochbehälter an der Schönau
Wasserbehälter an der Strasse nach Gedern
Obwohl Wenings bereits im Mittelalter Stadtrechte erhielt, blieb es doch immer ein landwirtschaftlich ausgerichteter und geprägter Ort, in dem vor allem die Viehzucht betrieben wurde. Durch die geografische Lage und den Charakter als Festungsstadt waren die Bewohner von jeher auf die Landwirtschaft angewiesen. Gewerbe kam nur in Form von Handwerksbetrieben auf, die für die Landwirtschaft und für den Erhalt der Gebäude der Landesherren (Sommerresidenz) und der Stadtmauern notwendig waren. Es fehlte jedoch an der notwendigen und ausreichenden Wasserkraft, um Industrie ansiedeln zu können, was wiederum verhinderte, dass große Straßen und eine Eisenbahnlinie durch Wenings gelegt wurden. So blieb die Weningser Bevölkerung immer eng mit der Landwirtschaft verbunden, während diejenigen, die nicht als Bauern arbeiten konnten oder deren Betriebe zu klein wurden (Erbteilung), in die Städte zogen oder – wie oben bereits geschildert – auswanderten. Die landwirtschaftlichen Verhältnisse besserten sich erst in den dreißiger Jahren, als im Rahmen der ersten Flurbereinigung ca. 100ha Nutzfläche aus fürstlich isenburgischem Besitz zur Aufstockung der Betriebe abgegeben wurden. Die Zusammenlegung der durch die bereits erwähnte ständige Teilung zerstückelten Flächen ermöglichte wieder eine wirtschaftliche und rationelle Bearbeitung. Durch die zweite Flurbereinigung im Jahr 1963 mit der Eingliederung der früheren Jungviehweide in Wernings aus gräflich laubach’schem Besitz und der dadurch möglichen Aussiedlung von 21 innerörtlichen landwirtschaftlichen Betrieben wurden weitere Verbesserungen geschaffen. Interessant ist vor dem geschichtlichen Hintergrund, dass die meisten Aussiedlungshöfe auf historischem Siedlungsland errichtet wurden, nämlich dort, wo früher einmal die Dörfer Wernings und Floßbach standen.
Siedlungshöfe in Wernings mit dem Bauhof des "Feldwegeverband Vogelberg"
Siedlungshöfe in der Nähe von Floßbach mit der Ruine "Stumpfe Kirche" (in den Fichten)
Um die Jahrhundertwende 1890/1900, als der aufstrebende industrielle Ballungsraum um Hanau und Frankfurt mit Molkereiprodukten versorgt werden musste, ließ ein Hanauer Buttergroßhändler im Jahre 1895 in Wenings und Burkhards Molkereien bauen und betreiben. Nach manchem Auf und Ab der Molkerei und einem vorübergehenden Stillstand wurde 1925 von acht engagierten Weningsern die Molkerei-Genossenschaft gegründet. Diese konnte sich, als in den dreißiger Jahren viele kleine Molkereien schließen mussten, dank des Zusammenhaltes der Mitglieder und einer umsichtigen Geschäftsführung gegen die Konkurrenz der Großmolkereien behaupten.
Nach dem Krieg war sie mit ihren durchschnittlich 18 Arbeitsplätzen und der großen Anzahl an Genossenschaftsmitgliedern (z.B. 1954: 747 Mitglieder aus Wenings und den umliegenden Orten) ein wichtiger Faktor in der heimischen Wirtschaft.
Die Selbständigkeit der Weningser Molkerei konnte bis in die achtziger Jahre aufrechterhalten bleiben. Eine Kooperation mit den Großmolkereien MOHA und IMMERGUT ermöglichte es, verschiedene eigene Molkereiprodukte zu produzieren und die nicht gebrauchte Milch an diese Molkereien zu verkaufen. Der ab 1989 sehr stark einsetzende Preisverfall für Molkereiprodukte zwang die Genossenschaft am 24. Oktober 1989 einen weitergehenden Liefer- und Abnahmevertrag mit der Fa. IMMERGUT in Schlüchtern abzuschließen. Dies hatte zur Folge, dass die gesamte Produktion in der Weningser Molkerei eingestellt und die Molkerei-Genossenschaft in eine Milchlieferungs-Genossenschaft umgewandelt wurde. Die Milchlieferungs-Genossenschaft (Mitgliederstand am 31.12.2004: 42) wurde gegründet, um die vorhandene Milchmenge von ca. 15 Mio. Liter pro Jahr auf genossenschaftlicher Basis zu bestmöglichen Konditionen vermarkten zu können. Die Gebäude der ehemaligen Molkerei wurden am 12. Juli 1993 an ein Recycling-Unternehmen aus Schöneck verkauft.
Zur Instandhaltung der Feldwege und Gräben wurde 1965 der „Feldwegeverband Vogelberg“ als kommunaler Zweckverband und Dienstleistungsunternehmen gegründet. Im Laufe der folgenden Jahre wurde durch mehrere Neubauten am Bauhof in Wernings und Erweiterung der kommunalen Dienstleistungen in den angeschlossenen Mitgliedsgemeinden der Aufgabenbereich deutlich vergrößert (z.B. Winterdienst). Diese Arbeiten werden von 15 Mitarbeitern und dem dazu nötigen Fuhr- und Maschinenpark (Bagger, Lkw u.a.) verrichtet. Inzwischen gehören dem Feldwegeverband 15 Gemeinden mit 107 Ortsteilen und 135.000 Einwohnern auf einer Fläche von 750 km2 an. Die räumliche Ausdehnung erstreckt sich über den Wetteraukreis, Vogelsbergkreis und Main-Kinzig-Kreis.